Heho und so, Freunde des lustigen Pedalierens.
Da war ich Dienstag noch kurzfristig beim Zahnarzt und musste mir einen halben Zahn aufbohren lassen, um dann Mittwochabend, ab Prag, in den Flixbus zu steigen, damit ich pünktlich am Donnerstag um 14 Uhr beim Bikecheck in Lyon sein kann. Im Bus sitzt die Nacht, ein etwas kräftiger Mann neben mir, der entweder die ganze Zeit in Englisch mit Leuten über Autoverkäufe telefoniert oder einfach schnarcht und ich Angst habe, er erstickt gleich.
Auf jeden Fall steige ich am Busbahnhof aus dem Bus und schon treffe ich zwei Mitfahrer. “Deutsch?” fragt der eine beim Aufbau des Rades. Ich nicke noch etwas durcheinander. Ich fahre mit den beiden runter ans Ufer der Rhone, wo im Bikeshop der Check-In und das Briefing sind. Unten sitzen schon einige andere und sofort starten kleine interessante Gespräche über vergangene Erlebnisse. Ich setze mich aber erstmal ab, damit ich mir neue Bluetooth-Kopfhörer kaufen kann, die ich natürlich im Bus liegen gelassen habe. Na gut, es war auch nur noch der linke und der war auch schon halb kaputt. 16 Uhr bin ich wieder zurück und es ist proppevoll. Überall sitzen und stehen Fahrer und unterhalten sich. Da ist das holländische Grüppchen, ein paar Franzosen und relativ viele Deutsche. Ich lasse mein Fahrrad überprüfen. Bremsen funktionieren. Helm, zwei Front- bzw. Rücklampen und auch eine Rettungsdecke muss ich vorzeigen. Dann oben im Laden unterschreibe ich eine Absichtserklärung, dass ich auf mich selbst aufpassen kann und auch auf eigenes Risiko mitfahre. Dann muss ich noch meine Auslandskrankenversicherung zeigen, die wir alle zwingend mitführen müssen und endlich bekomme ich meinen Tracker und auch meine Mütze mit der Startnummer 23.
Um 18.30 Uhr gibt es nochmals ein Briefing für alle. Bitte an die Gesetze und Regeln halten und wenn jemand dagegen verstößt, sollen wir das bitte auch melden. Finde ich richtig. Wir regen uns auch oft genug über andere Verkehrsteilnehmer auf, da sollten wir auch alle Sachen befolgen und mit gutem Beispiel voran gehen.
Danach geht es für mich noch schnell in eine Pizzeria und dann in meine Unterkunft. Der Start ist morgen am Karfreitag um 7 Uhr.
Mein Handy meldet sich um 6 Uhr. Der erste Checkpoint wird für uns alle in unserer Whatsapp-Gruppe veröffentlicht. Bis jetzt wussten wir alle nicht, wohin es eigentlich geht. Deshalb “The Unknown Race”. Der Startparcours durch Lyon führt nach Osten Richtung Alpen und der Finishparcours kommt im Westen zurück. Ein Indiz dafür, dass es erst in die Alpen und dann ins Zentralmassiv gehen könnte. Und wirklich, zum ersten Checkpoint geht es durch die Alpenstadt des Jahres 2012, Annecy, auf das 1450 m hohe Plateau des Glières.
Beim Zähneputzen und Packen meiner Tasche trifft mich aber fast der Schlag. Plattfuß vorn. Toller Start, denke ich mir. Schnell den Schlauch wechseln und los. Jetzt wird es knapp. Als das geschafft ist, starte ich meinen Wahoo Fahrradcomputer und das Entsetzen wird noch größer. Der installiert erstmal ein Update und als er endlich anspringt, sind alle Karten gelöscht. Auch alle Touren sind weg. Man ey! Ok Ok, ruhig bleiben. Schnell ein paar Handgriffe und die Route ist wenigstens als durchgehende Linie auf weißem Grund zu sehen. Dafür gibt es keine Straßen und Kreuzungen als Abbildung. Am Start sind schon alle weg. Ich fahre also allein los und merke nach ca. 2 Kilometern, dass hier irgendwas nicht stimmen kann. Mein Navi will mich wieder zum Hotel lotsen. Also wieder Stop und alles überprüfen. Erstmal weiter mit Handynavigation über Komoot und Bluetoothansagen im Ohr. Immer an der Rhone entlang geht es jetzt für mich ganz allein durch den Startparcours. Die ersten 28 km fliegen gut voran. Es ist zwar etwas zugig, aber nicht kalt und der Wind kommt eher von hinten. Die Straße vor mir ist nass. Also habe ich wohl bis hierher Glück gehabt und treibe die Regenwolken vor mir her. Irgendwann kommt dann auch der erste längere Anstieg von 5 Kilometern Länge. Jetzt fängt es aber doch an und bevor ich pitschnass werde, schnell die Schuhüberzieher und die Regenjacke an. Nasse Socken braucht keiner. Oben warm und schwitzend angekommen, wird es auf der Abfahrt wieder sehr kalt.
An einem Brunnen fülle ich meine Wasserflaschen auf und fahre weiter Richtung Annecy. Aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass mein Reifen weiterhin Luft verliert. Als ich noch einmal nachpumpen will, fällt mir auf, dass ich auf einer etwas ruppigen Passage meine Pumpe verloren habe. Na toll. Das nächste Missgeschick. Also rein in das nächstbeste Sportgeschäft und eine neue Pumpe kaufen. Los weiter. Auf der Trackingmap sehe ich, wie viel Zeit ich schon eingebüßt habe. Einige kommen mir schon vom ersten Checkpoint bergab entgegen. Ich rechne noch mit 3 Stunden Auffahrt.
Also schnellstmöglich weiter. Ein paar Leute habe ich aber anscheinend doch schon überholt. Die Auffahrt ist nicht ohne. Erst ein kleinerer Hüpfer von 8 Kilometern Länge und dann die richtige Anfahrt über 14 Kilometer. Es geht erstmal in ein kleines idyllisches Tal, das von hohen Felswänden umschlossen wird.
Bis ins Dorf Usillon fährt sich das ganz gemütlich. Ab dann aber wird es relativ anspruchsvoll, da die Prozente in den Serpentinen zwischen 8 und 10 % liegen. Das tut kräftig weh. Irgendwann im kahlen, ruhigen Wald, in dem nur die Vögel zwitschern, treffe ich auf Gary mit seiner langen blonden Mähne und seinem super schönen Peugeot-Stahlrad. Er muss schieben. Hier hoch zeigt die Schwerkraft ihr ganzes Potenzial. Ich fahre im Wiegetritt an ihm vorbei und hauche ihm ein “I love your Hair” ins Ohr. Er quitiert das mit einem Grinsen.
Oben passiere ich den Col de Collet und fahre kurz wieder ab, um dann nochmals am Rand einer Felswand nach oben auf das Plateau des Glières zu kommen. Hier oben war im März 1944, die erste Auseinandersetzung zwischen der Rèsistance, also der französischen Widerstandsbewegung und der Wehrmacht im 2. Weltkrieg. Nach dem Denkmal geht es wieder über eine Schotterstraße nach unten zum ersten Checkpoint. Nicht so toll für meinen schon geschundenen Vorderreifen.
Die Sonne geht gerade unter und Gary kommt auch nach einer Weile angefahren. Wir unterhalten uns ein wenig und beraten, wie es jetzt weitergeht. Der nächste Checkpoint, der mit seinen Koordinaten auf einem Zettel klebt, ist der Col de Perty. Den kenne ich schon vom Three Peaks Race 22. Das war der erste Aufstieg im Finisherparcours Richtung Nizza.
Nach unten könnte ich jetzt ins Borne-Tal fahren oder wieder den Weg zurück. Ich entscheide mich für zweiteres. Da ich wieder durch Annecy komme und dort etwas essen will und evtl. je nach Verfassung, einfach eine Unterkunft suche. Zurück auf dem Plateau ziehe ich alles an, was ich mithabe. Beinlinge, Armlinge, Winterhandschuhe, Regenjacke und -hose, Thermo- und die dickere Daunenjacke.
Es ist kalt. So richtig kalt. Aber den Anblick, den gibt dir keiner zurück. Das sind dann die Momente, die man für sich behält und für die man diese Strapazen auf sich nimmt. Die Gipfel sind in ein blau-orange getaucht. Die ersten Sterne funkeln am Himmel und es ist totenstill. Am liebsten würde ich länger in diesem Moment, in dem die Welt still steht, verweilen. Aber ich muss weiter. Bei der Abfahrt kommen mir Gina und Niklas entgegen. Mit den Beiden habe ich mich schon bei der Anmeldung unterhalten. Sie sind Bikepacker aus Leidenschaft und das ist ihr erstes Rennen. Beide sind genauso dick eingepackt und Gina hat ein paar Probleme mit ihrem Knie. Wir wünschen uns gegenseitig viel Glück und für mich geht es in die dunkle und kalte Abfahrt. Irgendwann komme ich zitternd um 23.30 Uhr in Annecy an und entschließe mich nach diesem Tag mit all den Missgeschicken in einem Hotel anzuhalten und ein Zimmer zu nehmen, um am nächsten Tag einigermaßen regeneriert, den zweiten Checkpoint anzufahren. Körperlich ginge es sicherlich weiter, aber mental muss ich erst einmal einige Rückschläge verdauen.
The Unknown Race 2023 Day 1 or Murphy’s Law
Heho and so, friends of fun pedalling.
On Tuesday I had to go to the dentist at short notice and had to have half a tooth drilled out, so that I could get on the Flixbus from Prague on Wednesday evening, so that I could be at the bike check in Lyon on time at 2 pm on Thursday. There’s a somewhat burly man sitting next to me on the bus that night, either talking on the phone to people about car sales in English the whole time or just snoring and I’m afraid he’s about to suffocate.
In any case, I get off the bus at the bus station and already I meet two fellow passengers. „German?“ asks one of them as he sets up his bike. I nod, still a little confused. I ride with them down to the bank of the Rhone, where the check-in and briefing are in the bike shop. A few others are already sitting downstairs and interesting little conversations about past experiences start immediately. But for now I take a break so that I can buy new Bluetooth headphones, which of course I left on the bus. Well, there was only the left one left and it was already half broken. I’m back at 4 pm and it’s packed. Drivers are sitting and standing everywhere, chatting. There’s the Dutch group, a few French and quite a few Germans. I have my bike checked. The brakes work. I have to show my helmet, two front and rear lights and a rescue blanket. Then up in the shop I sign a declaration of intent that I can take care of myself and also ride at my own risk. Then I have to show my foreign health insurance, which we all have to carry, and finally I get my tracker and my cap with the start number 23.
At 6.30 pm there is another briefing for everyone. Please abide by the laws and rules and if someone breaks them, we should report it. I think that’s right. We get upset often enough about other road users, so we should follow all the rules and set a good example.
After that, I’m off to a pizzeria and then to my accommodation. The start is tomorrow, Good Friday, at 7 am.
My mobile phone beeps at 6 am. The first checkpoint is posted for all of us in our Whatsapp group. Until now, we all didn’t know where we were actually going. Hence „The Unknown Race“. Only the start course through Lyon goes east towards the Alps and the finish course comes back in the west. An indication that it could first go to the Alps and then to the Massif Central. And really, for the first checkpoint, it’s through the 2012 Alpine Town of the Year, Annecy, to the 1450 m high Plateau des Glières.
But while brushing my teeth and packing my bag, I almost get a stroke. Flat tire in the front. Great start, I think to myself. Quickly I change the tube and off I go. Now it’s getting tight. When that’s done, I start my Wahoo bike computer and my horror is even greater. First it installs an update and when it finally starts up, all the maps are deleted. All the tours are gone too. Man ey! Ok Ok, stay calm. A few quick moves and the route is at least visible as a continuous line on a white background. But there are no streets and intersections as an image. At the start, everyone has already left. So I set off alone and realise after about 2 kilometres that something can’t be right here. My sat nav wants to guide me back to the hotel. So I stop again and check everything. First I continue with mobile phone navigation via Komoot and Bluetooth announcements in my ear. Along the banks of the Rhone, I’m now on my own through the start course. The first 28 km go well. It’s a bit draughty, but not cold and the wind comes more from behind. The road ahead is wet. So I guess I’ve been lucky up to this point and am driving the rain clouds ahead of me. At some point I reach the first long climb of 5 kilometres. But now it starts and before I get soaking wet, I quickly put on my shoe covers and rain jacket. Nobody needs wet socks. Arriving warm and sweaty at the top, it gets very cold again on the descent. I fill up my water bottles at a fountain and continue towards Annecy. But somehow I have the impression that my tyre keeps losing air. When I want to pump it up again, I notice that I have lost my pump on a somewhat rough passage. Great. The next mishap. So I go to the nearest sports shop and buy a new pump. On we go. On the tracking map I see how much time I have already lost. Some of them are already coming downhill towards me from the first checkpoint. I reckon it will take another 3 hours to climb up.
So I moved on as quickly as possible. But it seems I have already overtaken a few people. The ascent is not without its difficulties. First a short hop of 8 kilometres and then the real 14-kilometre approach. First we enter a small idyllic valley surrounded by high rock faces. Up to the village of Usillon, the ride is quite easy. From then on, however, it becomes relatively demanding, as the percentages in the serpentines are between 8 and 10 %. That hurts a lot. At some point in the bare, quiet forest, where only the birds are chirping, I meet Gary with his long blond mane and his super nice Peugeot steel bike. He has to push. Up here, gravity shows its full potential. I ride past him in a cradle and whisper „I love your hair“ into his ear. He acknowledges this with a grin.
At the top, I pass the Col de Collet and descend again briefly, only to come up again along the edge of a rock face onto the Plateau des Glières. Up here, in March 1944, was the first confrontation between the Résistance, the French resistance movement, and the Wehrmacht in the Second World War. After the monument, we take another gravel road down to the first checkpoint. Not so great for my already battered front tyre.
The sun is just setting and Gary also arrives after a while. We talk a little and discuss what to do next. The next checkpoint, with its coordinates written on a piece of paper, is the Col de Perty. I already know it from the Three Peaks Race 22, which was the first climb in the finisher’s parcours towards Nice.
Now I could go down into the Borne Valley or back the way I came. I decide on the second. Since I’m passing through Annecy again and want to eat something there and possibly, depending on my condition, just look for accommodation. Back on the plateau I put on everything I have with me. Leg warmers, arm warmers, winter gloves, rain jacket and trousers, thermal and the thicker down jacket.
It is cold. Really cold. But no one will give you the sight back. These are the moments that you keep for yourself and for which you take on these hardships. The peaks are bathed in blue-orange. The first stars twinkle in the sky and it is dead quiet. I would love to linger longer in this moment when the world stands still. But I have to go on. On the descent, Gina and Niklas meet me. I had already talked to them at the registration desk. They are passionate bikepackers and this is their first race. Both are packed just as thickly and Gina has a few problems with her knee. We wish each other good luck and for me it’s off into the dark and cold downhill. At some point I arrive in Annecy shivering at 11.30 pm and after this completely used day with all the misfortunes I decide to stop in a hotel and take a room in order to approach the second checkpoint the next day more or less regenerated. Physically, I could certainly go on, but mentally I first had to digest some setbacks.