Three Peaks Bike Race 2022 Tag 10 oder Nightcrawler

Heho und so, Freunde des lustigen Pedalierens.

Die Sonne ist gerade erst aufgegangen und das Hotel ist noch ganz leise. Eine geheimnisvolle, gespannte und kribbelige Stimmung. Auch von Thomas ist noch nichts zu hören. Ich schleiche mich leider heraus und mache mich allein auf den Weg. Die letzten knapp 400 Kilometer liegen vor mir und es geht sofort nach oben zum Col de Perty. Die Straße ist nicht die allerbeste, aber es ist schön ruhig, auch die Steigung ist gut zu ertragen und es rollt fast von ganz allein. Gut, dass ich mich gestern noch mit genug Verpflegung eingedeckt habe, denn eine Boulangerie gibt es hier nirgends. Dafür ist der Ausblick oben auf der Passhöhe großartig. Der Col de Perty ist irgendwie das Verbindungsstück zwischen der Provence mit dem Mont Ventoux und den westlichen Hochalpen. Oben kann man beides in der Ferne sehen. Grandios!

Nach ein paar Fotos geht es aber gleich wieder bergab und bis Sisteron läuft es sehr geschmeidig. Dort werfe ich mich erstmal an einen Supermarkt und mache eine Stunde Mittagspause mit Baguette, Eis, O-Saft und Käppo.

Als es dann weitergeht und ich gerade in den Aufstieg zum Sommet de Lure fahre, kackt mein Fahrradcomputer ab und ich kriege fast einen cholerischen Anfall. Wie soll ich denn jetzt den verwinkelten Finisher-Parcour abfahren? Kurz im Internet ein paar Foren gecheckt und herausgelesen, dass der alte Wahoo bei vielen Kilometern Probleme macht und nur ein Kaltstart, weiteres Laden an der Powerbank und viel beten hilft. Ich fahre, moralisch ein wenig gedämpft, weiter. Irgendwann leuchtet das Kackding wieder auf und meldet sich mit einem freudigen “Hallo”. Bloß gut, denn ich weiß nicht, ob ich die ganze Zeit mit dem Handy in der Trikottasche am  Rücken hätte navigieren wollen. 

Der Anstieg hier zieht sich in der Folge ewig hin. Manchmal muss ich in den Kehren kurz anhalten. Jetzt zum Mittag habe ich ein richtiges Tief. Heiß ist es natürlich auch wieder und Mittagsschlaf wäre jetzt etwas wundervolles.

Der Sommet de Lure ist eine Art kleiner Bruder des Mont Ventoux. Unten fährt man durch Lärchen- und Tannenwälder. Auf der oberen Ebene wird es dann wieder sehr kahl, mit Kalksteinen übersät und auf dem Gipfel stehen wieder große Funkmasten.

Endlich bin ich über den Gipfel und es ist schon 16 Uhr. Nach einigen Kehren bergab, lege ich mich irgendwo an einem Wanderparkplatz auf einen Tisch in den Schatten und mache ein halbstündiges Schläfchen. 

Ich werde von weit entferntem Rumpeln geweckt. Es ist jetzt schwülwarm und auf der Abfahrt fängt es leicht zu tröpfeln an. Nach der Abfahrt durch ein kleines Städtchen hindurch, sehe ich hinter mir eine dunkelschwarze Gewitterwand. Jetzt heißt es Gas geben, denn wenn ich bei dieser aufgestauten Hitze in der Luft dort hineinkomme, ist sicherlich Land unter. 

Ich habe Glück. Hinter mir in der Ferne zucken zwar die Blitze und die Regenfront trübt die Weitsicht, aber mich trifft nichts. Der Wind ist zudem auch noch auf meiner Seite und bläst mir kräftig in den Rücken. Nach einer Stunde, es ist jetzt schon 18 Uhr, meldet sich mein Magen. In Oraison mache ich noch einmal Pause an einem Supermarkt. Alles, was jetzt Kohlenhydrate gibt, kommt in den Einkaufswagen. Viel Süßes zum Naschen, zwei belegte Baguettes und Orangensaft, ein Eis, sowie zwei kleine Flaschen Cola. Vor und hinter mir stehen zwei Franzosen und kaufen ausschließlich Wein. Der vordere hat 4 Flaschen und der hinter mir 6. Wein gibt es erst im Ziel, denk ich mir. Denn mein Entschluss verhärtet sich langsam. Heute wird es eine lange Nacht und ich fahre so weit wie es geht. 

Draußen hau ich mir den O-Saft, ein Baguette und das Eis in den Rachen. Neben mir kracht es laut. Eine alte Oma ist beim Einparken gegen ein anderes Auto gefahren. Wenn ich mir ihren Wagen anschaue, ist das auch nicht das erste Missgeschick, das ihr passiert. So richtig interessiert das allerdings niemanden. 

Ich fahre weiter. Es geht ein steiles Stück in Serpentinen hinauf. Oben hinter Bonaventure komme ich an einem Feld mit großen Grasballen vorbei, welche die Landwirte haben liegen lassen. Viele Menschen stehen hier und machen gerade Fotos. Ein wunderschönes Panorma und ein herrlicher rot-orangener Sonnenuntergang für Instagramprofile.

Als es schon langsam dämmert, treffe ich Thomas wieder. Er steht hier auf der Straße und sucht nach einer Unterkunft. Er wäre gerade mit ein paar Wanderern vor Hunden geflüchtet, die aus einer Hofeinfahrt herausgestürmt kamen. Allein will er nicht weiterfahren. Das trifft sich gut. Gesellschaft in der Nacht kann ich gut gebrauchen. Er will noch ein Stück mitfahren. Ich sage aus Scherz, dass, wenn wir einfach nicht mehr anhalten, wir ja theoretisch bis nach Nizza durchfahren könnten. Zusammen geht es jetzt aber erstmal in die Nacht. Irgendwann um 22.30 Uhr, kommen wir in einem kleinen Städtchen namens Poimoisson an einer Bar vorbei, in der noch gut gefeiert wird. Menschen sitzen in dieser lauen Sommernacht draußen, irgendwo zirpen Grillen, Musik spielt und ein Tisch mit zwei Stühlen an der Straße scheint wie für uns beide gemacht. Ein Espresso und eine Cola sind jetzt nochmal genau das richtige, um vorbereitet in die Nacht zu gehen. Wieder so ein romantischer Fahrradmoment in der Provence, den ich einfach schwer beschreiben kann. Aber dafür liebe ich diese Fahrradausflüge.

Immer weiter geht es jetzt für uns in die Nacht. Irgendwann kommen wir im hell erleuchteten Moustiers-Sainte-Marie durch. Wunderschön anzusehen ist das kleine Bergdorf, wenn die Straßen hell erleuchtet sind. Genauso wie das Felsmassiv, welches sich dahinter aufbaut.

Man kann hier schon ahnen, was kommt. Hier ist der Eingang zur Verdonschlucht. Die größte Schlucht Europas. 21 Kilometer lang und 700m tief ist der Canyon, durch den der türkisfarbene Verdon fließt. Leider sehen wir davon nicht viel. Es ist ja alles dunkel. Nur der Mond scheint fast voll und lässt uns dieses Naturschauspiel erahnen. Thomas und ich rollen bergauf auf der Route des Moustiers bis nach La Palud-sur-Verdon. Ab da geht es nach unten, immer um den Collet Barris herum, um wieder am Ausgangspunkt anzukommen. Wir fahren also eine 20 Kilometer lange Schleife und bekommen nochmal ca. 700 Höhenmeter aufgebrummt. Nach oben ist das mittlerweile sehr anstrengend, aber auch relativ warm. Keiner von uns beiden redet. Wir genießen bzw. konzentrieren uns. Endlich kommt die Abfahrt. Für mich jetzt das erste Mal psychisch herausfordernd, da ich langsam müde werde und Sekundenschlaf droht. Ich erhasche eine Blick auf Robby, den Belgier. Er hängt hier in einer Kurve   zwischen zwei Bäumen in seiner Hängematte und schläft. Irgendwann kommen wir wieder im Dorf an und in jeder Ecke liegen Fahrradfahrer im Schlafsack. Wir tanken noch schnell Wasser am Springbrunnen auf. Es ist jetzt 3.50 Uhr und wir beschließen weiterzufahren bis wir umfallen.

Immer am Verdon entlang ist es jetzt aber doch sehr kalt und auch nass. Ich friere und bin müde. Thomas geht es ähnlich. Wir halten immer wieder Ausschau nach einer Schlafmöglichkeit, aber es kommt nichts. Ich falle fast vom Rad, als mir quasi auf gerader Spur die Augen zufallen. Unser Schlag sucht ja immer nach diesen Momenten, die uns Ruhe geben, uns inspirieren und uns irgendwie auch seelisch heilen. Das ist einer dieser magischen Momente. Man denkt zu Beginn, dass man sich am Horizont einbildet, dass sich die Farbe ändert, bis man begreift, dass der Tag beginnt und langsam der Himmel, in allen Grau- und Blautönen, heller wird. Man kann jetzt die dichten Wolken erkennen, die hier im Tal über dem Fluss hängen. Es ist kalt, aber auch so fantastisch. Die Wolken lichten sich langsam und wir kommen in Castellane an. Hier auf dem Marktplatz gibt es ein paar Läden, Cafés, Banken und auch eine Boulangerie. Aber kurz vor 6 Uhr ist noch nichts auf. Ich lege mich auf eine Bank im Park und bekomme gerade noch mit, wie der frierende und nasse Thomas völlig konfus und durcheinander an jeder Tür rüttelt, um sich etwas aufzuwärmen.

Eine Straßenkehrmaschine, die an mir vorbeifährt, weckt mich lautstark. Ich muss wohl 20 oder 30 Minuten hier auf meiner Bank eingedöst sein. Thomas kann ich nicht entdecken. Dafür aber die geöffnete Boulangerie. Also endlich Kaffee und Baguette. 

Langsam trudeln auch andere Fahrer ein, die wir in der Nacht überholt haben. Auch Thomas taucht wieder auf. Er hat dann doch irgendwann einen Hauseingang gefunden, in dem er sich wieder etwas aufwärmen konnte. Ein Fahrer hat keine Navigation mehr. Handy nass, Powerbank und Fahrradcomputer tot. Das große Aufkommen von Rennradfahrern mit Gepäck am frühen Morgen macht natürlich einige Menschen neugierig. Der Mann von der Müllabfuhr kann etwas englisch und fragt mich, wer wir alle sind. Ich erkläre es ihm beim Kaffee und er übersetzt seinem Bekannten, der gerade mit dem Rennrad angehalten hat. Beide machen große Augen, dass wir vor 10 Tagen in Wien gestartet sind und noch einen Schlenker über den Mont Ventoux gemacht haben. Bei beiden sieht man das Rennradfeuer in den Augen aufflammen. 

Nach einer guten Stunde Frühstückspause geht es jetzt zu fünft weiter. Der eigentlich letzte ernstzunehmende Pass über den Col de Pinpinier ist relativ schnell geschafft. Ich spüre mich und das Feuer in mir auch wieder.

Ab hier sind es nicht mal mehr 100 Kilometer und 1500 Höhenmeter. Eine gute Trainingsrunde, wie jeden Samstag durch die Oberlausitz für mich. Aber hier habe ich nun schon gut 300 Kilometer und über 24 Stunden Fahrradfahrt in meinen Beinen. Geschweige denn die 9 Tage Alpen.  Aber es ist jetzt nicht mehr weit und die „Karotte“ hängt vor meinem Gesicht.

Es geht jetzt immer wieder hoch und runter an steilen Berghängen entlang. Irgendwann kommt nochmal ein Dorf. Vor einem kleinen Laden steht ein Rad mit Gepäck. Ich gehe schnell rein, nehme mir was ich als schnellstes kriegen kann. Eistee, Red-Bull, Banane und Pfirsich. Schnell wieder raus. Den Fahrer,  an dem ich mich drin vorbeidränge, kenne ich. Stefan habe ich im Mai schon beim Mittelgebirge Classique am Checkpoint kennengelernt. Er ist sichtlich überrascht, mich hier zu sehen. Ihm wird es ähnlich gehen, wie meinen Eltern oder einigen Anderen daheim, die mich die letzten Tage wieder per Dotwatching verfolgt haben. Mein Vater schreibt mir, dass er meinen Punkt auf der Karte erst gar nicht gefunden hat und dann völlig überrascht war, dass ich ja „gleich“ da bin. 

Thomas kann mir jetzt an einem der letzten Anstiege nicht mehr folgen. Er hat kein Wasser mehr und den Laden verpasst. Er muss in der Hitze auffüllen und ich fahre allein weiter. Als ich aus meiner Flasche trinke,   kommt Stefan auf einer Abfahrt mit großem Blatt an mir vorbeigezogen. „Wer trinkt, verliert“ sagt er mit einem Lächeln. Im Ziel wird er panisch fragen, ob ich schon da bin. Nein, er ist eher in Nizza. Aber ich bin auch später in Wien gestartet und deshalb habe ich letztendlich die bessere Gesamtplatzierung.

Für mich geht es aber jetzt immer weiter nach unten Richtung Nizza und ich kann schon die salzige Meerluft riechen. Nach einer Kurve kann ich endlich das Mittelmeer sehen und gebe noch einmal Gas. Durch das Gedränge der Stadt komme ich, vorbei am Flughafen, auf dem Radweg an der Strandpromenade an. Um 14.20 Uhr, nach mehr als 32h Fahrt, 395 Kilometern mit etwas über 7000 Höhenmetern, komme ich hier in Nizza am Ziel an. 

Seit Wien liegen 10 Tage, 2337 Kilometer, 31078 Höhenmeter, Blut, Schweiß und die ein oder andere Träne hinter mir.

Hier sitzen schon etliche Radfahrer und es wird immer geklatscht, wenn neue Finisher eintreffen. Bekannte Gesichter der letzten Tage sitzen hier. Eigentlich sollte auch meine gute Freundin Janina ein Video von mir machen, wie ich ankomme, aber sie hat sich oben in den Bergen ein wenig verzettelt und deshalb mache ich ein Video von ihr, wie sie mit dem Rad ankommt. Thomas folgt auch 20 Minuten später. Dann auch Robby usw. 

Bei schönen Geschichten von allen kommt langsam bei mir die Müdigkeit und die Erschöpfung durch. Das Finisherbier, welches ich hier gleich in die Hand gedrückt bekomme, tut sein Übriges. Irgendwann gehen wir ins Hotel und nehmen eine Dusche und eine Mütze Schlaf. Mit Janina werde ich die nächsten Tage, über die Alpen zurück, noch Richtung Mailand radeln und dann mit Flixbus heim fahren. Thomas fliegt nach Hause. Aber erstmal lassen wir den Abend noch einmal mit Bier, Pizza und unseren Radgeschichten ausklingen.

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