Heho und so, Freunde des lustigen Pedalierens.
Heute komme ich besser aus dem Bett in der Unterkunft. Ich war auch relativ zeitig im Bett und hatte mal richtig guten, langen Schlaf. Zumindest im Verhältnis.
Der zweite Teil des Col du Grand St. Bernhard wartet. Es ist das steilere Stück. Aber früh um 6 Uhr hält sich der Verkehr noch in Grenzen. Erst ein paar Kilometer durch Galerien bis zum Tunnel nach Italien und dann rechts weg zum richtigen Pass. Jetzt wird es steil, aber auch wunderschön. Die Hitze hält sich heute noch in Grenzen. Knappe 6,5 Kilometer bei knapp 8 % geht das jetzt so, bis ich oben nach vielen Kehren, am Hospiz ankomme und eine grandiose Aussicht auf beide Seiten habe. Oben schnell an den zwei Seen vorbei und dann ab nach Aosta ins Tal mit einer nach grandioseren Abfahrt. Die geht, mit etwas Autoverkehr ab der Hälfte, dann gute 35 Kilometer und im Tal such ich mir erstmal etwas zum Frühstücken. Viele Rennradteams fahren hier rum. Muss wohl irgendwo in der Nähe ein internationales Radrennen stattfinden, wenn hier offizielle UCI-Teams ihre Trainingsrunden fahren.
Ich mache halt am erstbesten Supermercado und hol mir Joghurt, Pizza Margherita, Cola und ne Melone. Als ich draußen sitze, beobachte ich einen Flüchtling aus Afrika, wie er auf dem Parkplatz die Einkaufswagen zusammenschiebt, Leuten beim tragen der Tüten hilft und dafür, ganz das Klischee, auch mal eine Banane als dankeschön bekommt. Bei mir hält kurz vor der Stelle auf der ich Sitze, ein älteres Pärchen. Die sind ganz süß und trollig. Ich lächle die beiden durch die Windschutzscheibe an und als sie aussteigen, sprechen sie mich auf italienisch an. Ich antworte nur alleman o inglese. Er kann ein paar Brocken deutsch und wir unterhalten uns kurz mit Händen und Füßen, wo ich herkomme und hin will. Er macht große Augen und, zeigt mir das er früher auch viel Rad gefahren ist. Dann muss er los, denn seine Frau ruft nach ihm.
Die Melone schaffe ich jetzt nicht mehr. Ein Drittel ist übrig. Aber wegschmeißen ist nicht gut. Ich frage den Afrikaner ob er den Rest haben will und er strahlt mich an. Er kann Englisch und wünscht mir noch viel Glück auf meiner weiteren Fahrt. Ich hoffe ich habe jetzt nicht auch das Klischee erfüllt.
Ab geht es jetzt für mich zum CP3. Es ist langsam Mittag und ich habe schon die ersten 100 Kilometer und 1500 Höhenmeter in den Beinen und suche mir ein schattiges Plätzchen vor dem Aufstieg. Es ist jetzt richtig warm. 31 Grad im Schatten. 45 Minuten mach ich erstmal die Augen zu und dann gehts weiter. In der ersten Kurve nach oben, macht es am Hinterreifen pfffffffff. Tolle Wurst. Der nächste Platten. Also ausbauen. Den Kleber am Flicken hat es bei der Hitze aufgelöst. Die Schwarzdecke der Straße wird wohl locker 70 Grad haben. Naja, hier ist gerade kein Schatten, aber wenigstens ist die Aussicht gut. Thomas kommt gerade an mir vorbei, als ich fertig bin. Wir fahren zusammen weiter und fachsimpeln etwas über die letzten Tage, seit CP2, als wir uns das erste Mal getroffen haben. Die Auffahrt ist lang, aber auch sehr schön. 27 Kilometer am Torrente Savara entlang. Mal kurvig, mal gerade aus, bis wir am Nationalpark Gran Paradiso ankommen. Hier ist ein totes Ende des Aufstiegs. Dead End! Dort oben auf dem Park- bzw. Campingplatz ein Eis, einen Pfirsich, ein Panini, Nutellakekse und kalte Cola.
Soooooo, und dann heißt es erstmal hike with bike. Die nächsten 6 Kilometer und 400 Höhenmeter muss man das Rad über einen Wanderweg, der teils sogar ein halber Klettersteig ist, tragen. Unten im Einstieg lachen schon die Wanderer, die schon einige andere Fahrer beim Abstieg getroffen haben. Auch die können gutes Englisch und ich sage in 2 ½ Stunden sind wir bestimmt oben. Einer Lacht laut auf und sagt: “Wohl eher 5 Stunden!”
Naja, ich lasse mir die gute Laune nicht nehmen. Ich hätte auch die längere, höhenmeterreichere Route mit der Umfahrung und den Südaufstieg wählen können, habe das aber vom Wetter und der Tageszeit abhängig gemacht. Ich glaube auch das so ein Spaziergang mal ganz gut für die Beine ist, damit die wieder richtig locker werden. Also endlich das Fahrrad auf die Schultern und los. Über Stock und Stein geht es die Schlucht hinauf. Die Wanderer die mir entgegen kommen, murmeln immer was von “Courage”. Irgendwann über die natürlichen Steintreppen wird es oben etwas flacher und der Wald dünnt sich aus, bis ich auf einem völlig kahlen Hochplateau bin. Dort muss ich weiter nach oben und sogar die metallenen Trittstufen nutzen, die für Wanderer in den Fels geschlagen wurden. Durch eine alte Siedlung mit verfallenen Häusern und einer Kirche, komme ich endlich auf einer Schotterstraße an, die so mittel befahrbar ist. Ich will keinen neuen Platten und fahre deshalb sehr vorsichtig. Die nächste Überraschung hier oben sind die Murmeltiere. Hier ist alles voll, von Victors Doppelgängern. Als ich langsam angerollt komme, laufen sie über die Straße und verstecken sich in ihren Löchern um nachher wieder neugierig herauszuschielen. Bis nach ganz oben gehen die letzten 5 Kilometer jetzt noch relativ zügig. Oben treffe ich Pavel der nicht so richtig weiß wo der Gipfel bzw. die Zeitnahme ist. Ich bin mir sicher, dass wir hier gerade stehen, denn hinter mir geht es nur nach unten. Pavel kommt von der anderen Seite und ist etwas durcheinander. Seine Lippen bräuchten auch mal wieder einen Fettstift. Ich fahre jedenfalls bergab und das ist für mich, die wohl landschaftlich schönste Abfahrt. Wenn das ein Pass wäre, wäre dieser sicher eines der Highlights in den Alpen. Fast 60 Kilometer nach unten, über Kehren, steile Rampen, an Seen und durch eine gesperrte Straße, die einzig und allein 2019 für den Giro d’Italia hergerichtet wurde, durch eine schmale Schlucht, durch die sich der Orco donnernd durchs Tal frisst, bis Cuorgne. Dort kippe ich in der Nacht ab und fahre noch ca. 40 Kilometer etwas weiter westlich an Turin vorbei und halte in irgendeiner Stadt an und werfe mich dort auf einer Kinderspielplatz auf eine Tisch der überdacht ist und baue mein Nachtlager auf. Ein paar Straßen weiter, tobt noch eine kleine Party und junge Leute. Ich ahne schlimmes, aber ich will endlich die Augen zu machen.
Was dem Leser hier natürlich klar ist, dass ich eine Stunde später von der Gendarmerie geweckt werde, die mein Fahrrad im Dunkeln haben funkeln sehen. Sie kein Englisch, ich kein Italienisch. Der Ältere von beiden kann zwei Worte deutsch reden. Eben “Deutsch” und “Bier”. Die beiden denken ich wäre betrunken. Schön wäre es ja…Ich mache beiden klar, dass ich nur etwas schlafen will und ich hier ein Radrennen fahre und ich ja keinem was tue. Das ist ok für die Zwei und sie lassen mich mit einem Lächeln in Ruhe. Muss schon ein lustiger Anblick für die beiden gewesen sein. Ich mit meiner Radlerhose und der Daunenjacke, Mütze auf dem Kopf und schnarchend auf meiner Isomatte. Ich nehme mir vor, an meiner Schlafplatzwahl zu feilen und schlafe wieder ein…